The Missing Piece
Lebensprinzip Lücke
Wir suchen unseren Platz in der Welt. Wir wollen innerhalb einer Ordnung leben. Also konstruieren wir uns Ordnungssysteme. Diese Gedankenmodelle sind nicht die Wirklichkeit, sie sind unser Versuch, die Welt zu verstehen und uns ein Bild von ihr zu machen. Dieses Bild ist nie ganz abgeschlossen. Immer fehlt etwas: Das Missing Link der Evolutionstheorie, der Beweis für die Existenz der Higgs-Elementarteilchen in der Physik, der Gottesbeweis oder der Beweis für die Inexistenz Gottes, die Antwort auf die Frage, was nach unserem Tod kommt.
Die Suche nach dem Missing Piece hält unser Denken in Bewegung. Desto mehr wir wissen, desto besser wissen wir, was wir nicht wissen. Jede neue Erfahrung, jede überraschende Erkenntnis, jedes Messergebnis kann die scheinbar perfekte Ordnung in Frage stellen. Und wir müssen uns wieder an die Arbeit machen und ein neues Ordnungssystem konstruieren. Auch wenn wir wissen, dass auch das wahrscheinlich nicht endgültig sein wird. Nur ein geschlossenes Dogmensystem will das Welt-Bild fixieren. Es will unsere Denk- und Suchbewegung stillstellen wie die Inquisition im Mittelalter, wenn sie Giordano Bruno verbrennt.
Gläubige Muslime, die einen Teppich knüpfen, arbeiten ganz bewusst einen kleinen Fehler in ihr Werk ein. Es ist eine Geste der Demut. Denn die größte Hybris besteht für den Menschen darin, die Götter herauszufordern oder sich Ihnen gleich zu stellen. Davon können wir lernen. In der ägyptischen Mythologie gibt es die Vorstellung, dass das Missing Piece zum Ganzen gehört ist. Die Lücke, die Leerstelle ist Teil des Systems, nicht seine Widerlegung. Das müssen wir akzeptieren. Und trotzdem weiter suchen.